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von Dr. Volkhard Emmrich
In Zeiten rezessiver Konjunkturentwicklung und der damit verbundenen hohen Zahl an Unternehmenszusammenbrüchen wird zunehmend über das mögliche Versagen von Risikomanagementsystemen diskutiert. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach einer möglichst frühzeitigen Krisenerkennung, konsequenten Krisenbewältigung und damit erhofften Senkung des allgemeinen Unternehmensrisikos für die Zukunft.
Neben den exogenen, kaum beeinflussbaren Risikofaktoren existieren eine ganze Reihe weiterer, durchaus beeinflussbarer Faktoren. Diese können einerseits die Eskalation einer Krise beschleunigen, andererseits aber eine rasche Krisenbewältigung spürbar erleichtern. Voraussetzung dafür ist zum einen eine frühzeitige Wahrnehmung schwacher Signale durch Frühwarnsysteme und zum anderen eine kontinuierliche Überwachung der Risikofelder durch systematisches Bonitätsmanagement.
Frühwarnsysteme basieren im wesentlichen auf dem Konzept der "Schwachen Signale" von Igor Ansoff aus den 1970er Jahren sowie auf den Ergebnissen der Diffusionstheorie. Im Mittelpunkt steht dabei die Erkennung und Auswertung von schlecht bzw. unstrukturierten Informationen aus dem Unternehmen selbst sowie aus seinem Umfeld. Diese Informationen zeigen plötzliche und unerwartete strukturelle Veränderungen an.
Der "Weak Signal"-Ansatz von Ansoff geht davon aus, dass unerwartete exogene Störungen nicht vollständig unvorhersehbar eintreten. Den Ereignissen gehen vielmehr sogenannte "Vorläufer" - also Frühindikatoren einer möglichen Veränderung - voraus. Strukturbrüche und Krisen lassen sich daher frühzeitig noch vor ihrem eigentlichen Eintreten wahrnehmen.
Bei schwachen Signalen stellt sich einerseits die Frage, ob ihre Intensität über der notwendigen Wirkungsschwelle liegt und folglich eine Handlung auslöst. Andererseits muss beachtet werden, dass es sich um neue, noch nicht im Parameterset enthaltene risikorelevante Signale handeln kann. Frühwarnsysteme gewinnen daher an Aussagekraft, wenn kontinuierlich neue externe und interne Signale auf ihre Systemrelevanz hin untersucht und in den Betrachtungskreis aufgenommen werden.
Eine solche systematische Integration quantifizierbarer, dynamischer Größen in Frühwarnsysteme ermöglichen mathematische Modelle der Betriebswirtschaft. Je nachdem, ob qualitative oder quantitative Parameter überwiegen bzw. ob wohlstrukturierte oder schlechtstrukturierte Informationen verarbeitet werden, können operative und strategische Frühwarnsysteme unterschieden werden.
Abbildung 1: Unterschiede zwischen operativen und strategischen Frühwarnsystemen
| Operative | Strategische |
Informationen | wohl-strukturiert; | schlecht-strukturiert; |
Durchführung | gut delegierbar | schlecht delegierbar |
Ergebnis | signifikante Abweichungen | schwache Signale |
Schwache Signale weisen als unscharfe bzw. schlecht strukturierte Informationen auf Strukturbrüche, Diskontinuitäten oder grundsätzliche Trendveränderungen hin. Unternehmensextern zählen hierzu beispielsweise politische Veränderungen in den Absatz- und Beschaffungsmärkten, ein grundlegender technologischer Wandel, der Durchbruch einer neuen Technologie oder die Expansionsbestrebungen von Substitutionsanbietern. Unternehmensintern lassen schwache Signale Veränderungen in der Werthaltung, im Führungsverhalten oder in der Motivation der Mitarbeiter deutlich werden.
Das Aufspüren schwacher Signale im Unternehmen und im Unternehmensumfeld wird als "Scanning" bezeichnet und bildet die Basis der strategischen Früherkennung. Deuten die gefundenen schwachen Signale auf ein für das Unternehmen relevantes Problemfeld hin, wird dieses Phänomen über das sich anschließende "Monitoring" vertiefender beobachtet und untersucht. Durch Szenariotechniken können Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erkannt und Prognosen abgeleitet werden. Auf diesen bauen dann adäquate Antizipationsstrategien auf.
Das Auftreten schwacher Signale ist nicht zuletzt abhängig von der Dauer und vom Zustand der gerade vorherrschenden Kontinuität. Lang anhaltende Konjunkturzyklen oder die Sättigung von Märkten lassen die Wahrscheinlichkeit für schwache Signale bzw. bevorstehende Diskontinuitäten deutlich ansteigen. Je sicherer sich die Mehrzahl der Mitarbeiter über die bestehende "Ebene" ist, um so intensiver muss nach denjenigen schwachen Signalen Ausschau gehalten werden, die den nächsten Strukturbruch anzeigen.
Häufen sich schwache Signale im Zeitverlauf, so lässt sich daraus im Regelfall zunächst nur ableiten, dass ein Strukturbruch bevorsteht. Eine klare Reaktionsstrategie erfordert die Entwicklung von detaillierten Szenarien. Diese sollten u.a. die Frage beantworten, welche Systemparameter oder Inputgrößen aufgrund der schwachen Signale am wahrscheinlichsten einer Veränderung unterliegen werden.
Führungssysteme haben die Aufgabe, empfangene Signale und Informationen in konkrete Handlungsanweisungen umzusetzen. Dieses umfasst einerseits die Überprüfung von Zielen und andererseits die Anpassung der Strategien zur Erreichung der Ziele. Meistens handelt es sich dabei um integrierte Planungs- und Kontrollsysteme, die aus quantitativen und qualitativen Vorgaben Wirkungszusammenhänge ableiten.
Lange Zeit stand die Beobachtung einzelner Kennzahlen im Mittelpunkt. Wichen diese von vorgegebenen Sollzahlen oder von einem Mindestwert ab, so war dieses ein Alarmzeichen (beispielsweise ein sinkender Auftragseingang oder eine steigende Fluktuationsrate). Neuere Führungssysteme - wie beispielsweise das Konzept der Balanced Scorecard - sind darauf ausgerichtet, Zusammenhänge mehrdimensional miteinander zu verknüpfen. Hierdurch werden auch die besonders kritischen Bereiche Markt, Kunden, Mitarbeiter, Organisation und Prozesse in die Betrachtung integriert.
Entscheidend für die Qualität eines Führungssystems sind stets die gewählten Kennzahlen und Parameter für die betreffenden "Softfacts" sowie die daraus abgeleiteten Wirkungszusammenhänge und Sollvorgaben, bei deren Abweichung Alarm ausgelöst wird. Auch weiterhin können Frühwarn- und Führungssysteme lediglich als Hilfsmittel zur Entscheidungsvorbereitung dienen. Sie bedürfen stets einer qualifizierten Interpretation. Die Entscheidung selbst kann dem Management somit nicht abgenommen werden.
Die Wahrnehmung und Interpretation von schwachen Signalen sind erste Managementaufgabe für alle Führungskräfte. Als "Denkhaltung" lässt sich die strategische Früherkennung nicht auf die Durchführung von speziellen Methoden beschränken oder als funktionelle Aufgabe an einen Risikomanager delegieren. Stets gilt es, trotz operativem Erfolgsdruck und Terminenge die notwendigen Zeitfenster für strategische Analysen und "Was wäre, wenn"-Diskussionen offen zu halten.
Vielfach ist nicht ein Informationsmangel das Problem, sondern vielmehr der Umgang mit den vorhandenen Informationen. Einerseits können zwar durch Risikomanagementinstrumente Informationen aufgenommen, verdichtet und aufbereitet werden. Andererseits muss die richtigen Schlüsse daraus immer noch der Mensch ziehen. Beschäftigen sich Unternehmen zunehmend mit sich selbst, so nimmt die Aufmerksamkeit für schwache Signale ab. Mit zurückgehender Reaktionsmöglichkeit sinkt damit auch die Manövrierfähigkeit des Unternehmens.
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Entwicklungsstadium der Bedrohung und Manövrierfähigkeit der Unternehmung
Wurden aufgrund von schwachen Signalen Alternativkonzepte erarbeitet, so spiegelt sich dieses durch inhaltliche Änderungen innerhalb der Führungssysteme des Unternehmens wider. Um mögliche Unternehmenskrisen bewältigen zu können, ist eine rechtzeitige Anpassung der Führungssysteme erforderlich. Die Beobachtungs- und Analyseintervalle der Risiken sind entsprechend dem Risikograd zu verkürzen. Da steigende Risiken größere Entscheidungskompetenz und kürzere Entscheidungszeiten verlangen, ist mit wachsendem Risiko meist auch eine Zentralisierung der Entscheidungsgewalt und eine Verringerung des Koordinationsaufwandes verbunden.
Alle Angelegenheiten mit vergleichsweise hohem Risiko dürfen nicht auf die "lange Bank" geschoben werden. Sie sind mit erster Priorität zu behandeln. Die temporäre Verringerung von Entscheidungsgremien, das Einsetzen spezieller Lenkungsausschüsse und die Verschiebung der Prioritäten im Unternehmen darf jedoch nicht in Aktionismus ausarten. Eine gute Führung zeichnet sich durch faktenorientierte Bewertung alternativer Optionen, Umsetzungsstärke bei eingeleiteten Maßnahmen sowie klare Kommunikation gegenüber den Mitarbeitern aus.
Unternehmensrisiken beschreiben die Gefahr, Ziele zu verfehlen und im Zweifelsfall Verluste zu realisieren. Das Ausmaß des unternehmerischen Risikos wird dabei einerseits durch das Wettbewerbsumfeld und die Mechanik des Marktes bestimmt. Andererseits sind interne Faktoren - wie beispielsweise das Geschäftsmodell - bestimmend für die Risikoposition des Unternehmens. In der betrieblichen Praxis wird der externe Einfluss in der Regel deutlich überschätzt. Vielmehr zeigt sich, dass erfolgreiche, risikobewusste Unternehmen auch in rezessiven Zeiten profitabel arbeiten können.
Um das Unternehmensrisiko gering zu halten, müssen Unternehmen die Marktmechanik aktiv beeinflussen. Dieses gelingt beispielsweise durch das Setzen von wesentlichen Standards im Markt, das gleichzeitige Erfüllen von scheinbar widersprüchlichen Zielen (wie Flexibilität einerseits und Standardisierung andererseits), das gezielte Besetzen wichtiger Wertschöpfungsstufen oder das Vorhalten einer ausreichenden Volumenflexibilität in Märkten mit Schweinezyklen.
Bei der systematischen Aufnahme von Frühindikatoren für Unternehmenskrisen können unterschiedliche Beobachtungsfelder berücksichtigt werden:
Gerade für unternehmensexterne Beobachter zeigen sich Krisensymptome zumeist im Umgang des Managements mit Zielverfehlungen und Planabweichungen. Häufig wird mit der "Unausweichlichkeit" der Ereignisse argumentiert, statt auf Gegenmaßnahmen zu verweisen. Nicht selten verdrängen die Verantwortlichen den notwendigen Anpassungsbedarf im Unternehmen und beschäftigen sich stattdessen lieber mit "Nebenkriegsschauplätzen". Sie vergeben damit Möglichkeiten zur Senkung des Risikopotenzials und diskutieren über die Zukunft, ohne die Probleme der Gegenwart zu bewältigen.
Das Ausbrechen einer akuten bzw. manifesten Krise wird in der Regel durch das Zusammentreffen interner und externer Parameter ausgelöst. Ist aufgrund erheblicher interner Risikofaktoren eine hohe Krisendisposition gegeben, so genügt meist schon ein geringer externer Eskalationsfaktor, um die Krise offen ausbrechen zu lassen.
Keine Krise hat nur eine Ursache und eine der Krisenursachen liegt fast immer im Management - also im falschen Umgang mit externen und internen Risikofaktoren sowie in der mangelnden Durchsetzung notwendiger Veränderungen. Vier Krisenarten mit jeweils spezifischen Krisenverläufen können unterschieden werden:
Ist eine Unternehmenskrise manifest ausgebrochen, so ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Krisenbewältigung zum einen vom Ausmaß und von der Intensität der Krise abhängig. Zum anderen wird sie vom grundsätzlichen Status des Unternehmens zum Zeitpunkt des Krisenausbruchs bestimmt. Wesentlich sind hierbei insbesondere die internen Reservepotentiale des Unternehmens und wie schnell diese bei der Krisenbewältigung realisiert werden können.
Wurde das Unternehmen in der Vergangenheit durch Missmanagement "ausgecasht", ist eine erfolgreiche Krisenbewältigung wenig wahrscheinlich. Anzeichen hierfür sind insbesondere hohe Fixkosten, eine niedrige und rückläufige Eigenkapitalquote sowie kaum verfügbare Vermögensgegenstände. Weitere kritische "Brandbeschleuniger" bei der Krisenbewältigung sind geringe Abschreibungen, hohe Mieten und eine starke Abhängigkeit von wenigen Kunden mit rückläufiger Ergebnisqualität.
Soll nicht ausschließlich die akute Krise bewältigt, sondern auch das künftige Unternehmensrisiko nachhaltig gesenkt werden, so ist eine zweistufige Vorgehensweise bei der Krisenbewältigung notwendig. Die kurzfristige Bewältigung der aktuellen Liquiditätskrise dient dabei als Basis für die nachhaltige Neuausrichtung des leistungswirtschaftlichen Bereichs sowie für eine Neugestaltung der Aktiv- und Passivseite der Bilanz. Kurzfristige und nachhaltige Krisenbewältigung unterscheiden sich im Ausmaß der Risikosenkung.
Ist die Überlebensfähigkeit des Unternehmens akut bedroht, so reicht die Zeit für die Erstellung eines ganzheitlichen Sanierungs- oder Restrukturierungskonzeptes meistens nicht mehr aus. In solchen Fällen empfiehlt sich die Durchführung eines "Financial Audit". Ausgehend von der verfügbaren Liquidität, dem aktuellen Liquiditätsbedarf und den auftretenden Liquiditätslücken wird das Unternehmen dabei ganzheitlich unter finanzwirtschaftlichen Aspekten durchleuchtet. Die Liquiditätsbetrachtung kann zusätzlich um Renditegesichtspunkte ergänzt werden. Hierbei werden Geschäftsprozesse, der Beteiligungs-Mix sowie einzelne Bilanzpositionen solange angepasst bis unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten eine angemessene Kapitalverzinsung und Umsatzrendite erzielt wird.
Bei einer primär finanzwirtschaftlichen Betrachtung des Unternehmens besteht allerdings die Gefahr, dass aus Markt- und Unternehmenssicht notwendige Wertschöpfungsbereiche oder Produktsegmente vorschnell aufgegeben werden, weil sie den Renditeanforderungen nicht mehr genügen. Für eine nachhaltige Kurskorrektur sollte sich daher unmittelbar an den Financial Audit eine Evaluierung von Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell anschließen.
Nach Abschluss der Krisenbewältigung muss das Unternehmen in der Lage sein, die Herausforderungen des künftigen Geschäftes zu meistern. Die künftigen Geschäftsrisiken können dabei anhand alternativer Parameterkonstellationen und Szenarien abgeschätzt werden. Im Idealfall fällt dem Unternehmen eine Risikorente zu, da durch eine verbesserte Risikoidentifikation und Risikobewältigung die Effizienz und der Gewinn des Geschäftsmodells verglichen mit dem Wettbewerb höher ausfallen.
Der Verlauf einer ausgebrochenen Unternehmenskrise ist in der Regel abhängig von den Krisenursachen, der Krisenintensität und dem situationsspezifischen Mix der Risikofaktoren. Dabei müssen auch solche Faktoren berücksichtigt werden, die zu einer unerwarteten Eskalation der Krise führen können:
Durch ein Rating wird die Bonität eines Unternehmens periodisch gemessen. Die Bonitätsprüfung stellt dabei nicht nur auf vergangenheitsbezogene Kriterien ab, sondern lässt auch die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens in die Ermittlung des Unternehmensratings einfließen. Vier Bereiche werden beim Rating betrachtet:
Marktposition und Unternehmensstrategie, Organisation und Führung sowie die Beziehung zur Bank sind nicht ausschließlich betriebswirtschaftliche Größen, sondern Bestandteile der Managementleistung. Aufgabe des Managements ist es daher, diese Bonitätstreiber in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zu stellen und Bonitätsmanagement als dauerhafte und langfristig ausgerichtete Gestaltungsaufgabe der Unternehmensführung zu betrachten. Bonitätsmanagement umfasst alle wesentlichen Risikofelder und stellt eine Operationalisierung des Risikomanagements dar.
Das Unternehmensrating schafft einerseits eine direkte Vergleichbarkeit mit dem Wettbewerb und ermöglicht damit Darlehensgebern, Gesellschaftern und der Unternehmensführung, die Unternehmensrisiken auf ein angemessenes Niveau zu reduzieren. Andererseits stehen die Finanzierungskosten zukünftig in direktem Zusammenhang mit dem Grad des Unternehmensrisikos. Ist das Unternehmens- und Geschäftsrisiko hoch, so hat dieses folglich auch hohe Finanzierungskosten zur Folge. Wettbewerbsvorteile basieren somit zu einem erheblichen Teil darauf, wie gut ein Unternehmen mit Risiken umgehen kann.
Dr. Volkhard Emmrich |
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
6. Jahrgang (2003), Ausgabe 9 (September)
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Letzte Aktualisierung: Montag, 4. November 2024
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