Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 4 (April) - ISSN 1619-2389
 

Risikomanagement im "Musterländle"

Interview mit Dr. Werner Gleißner von Frank Roselieb und Marion Dreher

Überblick

Im Jahr 2003 haben in Baden-Württemberg gerade einmal 8 von 1000 Unternehmen Insolvenz angemeldet. Demgegenüber mussten in Nordrhein-Westfalen mehr als doppelt so viele und in Sachsen-Anhalt sogar gut dreimal so viele Betriebe den Gang zum Insolvenzrichter antreten (Quelle: www.destatis.de). Auch in punkto Unternehmensbonität, Standortqualität und Erfindergeist führt Baden-Württemberg die Rangliste der deutschen Bundesländer unangefochten an (Quellen: www.wiwo.de und www.dpma.de).

Liegt es am badischen Unternehmergeist, an der schwäbischen Sparsamkeit oder an den üppig fließenden staatlichen Fördergeldern, dass baden-württembergische Unternehmer besonders erfolgreich durch die Krise steuern? Führt womöglich die geographische Nähe zum Baseler Komitee für Bankenaufsicht dazu, dass Betriebe im Südwesten Risiken ihrer Geschäftstätigkeit früher antizipieren und professioneller bewältigen als ihre Kollegen in anderen Bundesländern?

Antworten auf diese und andere Fragen zur Unternehmensführung und zum Risikomanagement im Südwesten Deutschlands gibt Dr. Werner Gleißner (Foto). Der promovierte Diplom-Wirtschaftsingenieur ist Geschäftsführer der RMCE RiskCon GmbH & Co. KG in Leinfelden-Echterdingen und seit mehr als einem Jahrzehnt erfolgreicher Unternehmer in Baden-Württemberg. Im Gespräch mit dem Krisennavigator erläutert er u.a. den besonderen Wert der engen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Universitäten im Südwesten sowie das Erfolgsgeheimnis baden-württembergischer Wirtschaftspolitik. Die Fragen stellten Dipl.-Kfm. Frank Roselieb und Dipl.-Psych. Marion Dreher vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung aus Kiel.

"Der traditionelle baden-württembergische Mittelstand misst der
langfristigen Bestandssicherung einen großen Stellenwert zu."

Krisennavigator: Die ohnehin niedrige Insolvenzquote in Baden-Württemberg ist 2003 - entgegen dem Bundestrend - nochmals gesunken und liegt nun bei 7,9 Firmenpleiten auf 1000 Unternehmen. Was machen Unternehmer im Südwesten anders als ihre Kollegen in anderen Bundesländern?

Dr. Gleißner: Interessanter Weise gibt es zu dieser Frage nur vergleichsweise wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Dementsprechend sind auch meine Antworten durch eigene Erfahrungen - gerade aus der Beratungspraxis - geprägt. Ich glaube nicht, dass die niedrigeren Insolvenzraten auf personenbedingte Faktoren - wie höhere Intelligenz, stärkere Kompetenzen oder mehr Engagement - zurückzuführen sind. Die Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens hängt maßgeblich von der Risikotragfähigkeit - insbesondere der Eigenkapitalausstattung - und der Risikobereitschaft eines Unternehmens ab. Aufgrund der schon seit Jahren günstigeren Wirtschaftsentwicklung in Baden-Württemberg dürften viele hier etablierte mittelständische Unternehmen in der Zwischenzeit eine deutlich höhere Risikotragfähigkeit als Unternehmen in anderen Bundesländern aufweisen. Positive Auswirkungen auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit haben vermutlich auch die im baden-württembergischen Mittelstand stark ausgeprägte Neigung, vermeidbare Risiken zu vermeiden, sowie die teilweise deutlich höhere Ertragskraft aufgrund der besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Krisennavigator: In Sachen "Bonität" liegen die baden-württembergischen Unternehmen ebenfalls auf Platz 1. Bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit werden allerdings auch Faktoren wie die Nachfolgeregelung und die Kreditabsicherung im Auslandsgeschäft berücksichtigt. Inwieweit haben sich die - stark inhabergeführten und exportorientierten - Unternehmen im Südwesten früher als der Bundesdurchschnitt auf Risiken in diesen Bereichen eingestellt?

Dr. Gleißner: Die hohe "Bonität" der baden-württembergischen Unternehmen ist das unmittelbare Spiegelbild der niedrigeren Insolvenzwahrscheinlichkeit in diesem Bundesland. Aufgrund der hohen Gewichtung von Finanzkennzahlen - insbesondere Eigenkapitalquote und Umsatzrendite - bei den Ratings von Kreditinstituten dürfte die günstige Beurteilung baden-württembergischer Firmen im Wesentlichen auf bessere Bilanzdaten zurückzuführen sein. Nachfolgeregelungen und Kreditabsicherungen im Auslandsgeschäft haben hier bestenfalls flankierende Bedeutung. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass der traditionelle baden-württembergische Mittelstand der langfristigen Bestandssicherung einen so großen Stellenwert zumisst, dass die verfügbaren Instrumente des Risikomanagements konsequent eingesetzt werden. Selbst wenn viele mittelständische Unternehmen noch keine formalisierten Risikomanagementsysteme nach dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) aufgebaut haben, nutzen sie die Möglichkeiten des Risikomanagements.

"Grundlegende Fehler staatlicher Interventionen wurden
in Baden-Württemberg konsequent vermieden."

Krisennavigator: Trotz aller privatwirtschaftlichen Initiative hält sich die Landesregierung Baden-Württemberg keineswegs aus der Wirtschaft zurück. Im Gegenteil: Während andere Bundesländer ihre Förderprogramme zur Zeit drastisch zurückfahren, werden die entsprechenden Landesinitiativen im Südwesten auch 2004 noch einmal kräftig aufgestockt. Erstaunlicherweise liegen sowohl die Pro-Kopf-Verschuldung als auch die durchschnittlichen Hebesätze der Gewerbesteuer in Baden-Württemberg weit unter dem Bundesdurchschnitt - die Zahl der Patentanmeldungen und das Wachstum des Bruttoinlandprodukts allerdings deutlich darüber. Worin liegt das Erfolgsgeheimnis wirtschaftspolitischer Interventionen im Südwesten?

Dr. Gleißner: Grundsätzlich sollte man Förderprogramme des Staates als Investitionen auffassen, die sich mittelfristig in steigender Wirtschaftsleistung, höheren Steuereinnahmen und letztlich sinkender Pro-Kopf-Verschuldung auswirken können. Auch für Baden-Württemberg lassen sich diese positiven Wirkungen staatlicher Interventionen belegen. Sinnvoll ist eine Wirtschaftsförderung insbesondere dann, wenn durch sie zukunftsträchtige Investitionen, die Entwicklung neuer Technologien oder der Aufbau von Humankapital gefördert werden. Die Verbesserung der Infrastruktur und der Investitionsbedingungen steigert die Attraktivität eines Standorts für Unternehmensgründungen und fördert die Ansiedlung von Unternehmen, die bisher in anderen Regionen tätig waren. Baden-Württemberg hat seine Förderprogramme zu einem hohen Anteil auf diese Schwerpunkte ausgerichtet. Außerdem wurden grundlegende Fehler staatlicher Interventionen - beispielsweise der Versuch, nicht mehr zukunftsfähige Unternehmen oder ganze Wirtschaftszweige künstlich am Leben zu erhalten - vermieden.

Krisennavigator: Die stark mittelständisch geprägte Struktur der baden-württembergischen Wirtschaft sowie die besonders engen Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen bergen allerdings auch spezifische Risiken. Inwieweit können junge Unternehmen diese Besonderheiten und weitere Risiken bereits bei der Existenzgründung berücksichtigen?

Dr. Gleißner: Mittelständische Unternehmen weisen allgemein eine ganz spezifische Risikostruktur auf. Entsprechende Risikoprofile haben wir in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung und Wirtschaftsberatung (IAWW) der TU Dresden analysiert. Neben der Abhängigkeit von Schlüsselpersonen und den Risiken aus konjunkturellen Schwankungen gehören auch Geschäftsbeziehungen mit nur wenigen Kunden - also enge Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen - zu den Top-Risiken. Diese Risiken offenbaren sich nicht nur in dem Fall, dass der Schlüsselkunde verloren geht. Die Abhängigkeit von einem Großkunden führt auch zu einer extrem ungünstigen Verhandlungssituation, die sich negativ auf die Rentabilität auswirken kann. Junge Unternehmen sollten bereits bei der Existenzgründung bestrebt sein, derartige Abhängigkeiten von einzelnen Kunden zu vermeiden. Für den Fall, dass solche Abhängigkeiten dennoch entstehen, empfiehlt es sich, diese wechselseitig zu gestalten. Auch dem Kunden sollte es extrem schwer fallen - beispielsweise durch "spezifische Investitionen" in Entwicklungspartnerschaften - den Lieferanten zu wechseln.

"Die Universitäten in Baden-Württemberg haben sich frühzeitig um
einen besonders engen Schulterschluss mit der Wirtschaft bemüht."

Krisennavigator: Knapp jedes zweite in Baden-Württemberg hergestellte Produkt ist schon heute für den Export bestimmt. Die Exportquote liegt mit 43 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt (Quelle: www.statistik-bw.de). Wie können Unternehmen im Südwesten sicherstellen, dass die bisher von ihnen bedienten und für die wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes äußerst wichtigen Abnehmer in den Auslandsmärkten nicht zukünftig auf Lieferanten aus den (Niedriglohn-) EU-Beitrittsländern ausweichen?

Dr. Gleißner: Sicherlich wird es sich kaum vermeiden lassen, dass bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten, die heute noch in Deutschland stattfinden, zukünftig ins Ausland verlagert werden. Auch durch eine weitere Technologisierung der Fertigung kann man den Preiswettbewerb mit den EU-Beitrittsländern nicht immer gewinnen. In solchen Fällen sollten Unternehmen versuchen, sich durch Zusatzleistungen, besonderen Service oder ihre "starke" Marke klar von den ausländischen Wettbewerbern zu differenzieren. Auch in Baden-Württemberg haben sich noch nicht alle Unternehmen ausreichend auf die EU-Ost-Erweiterung vorbereitet. Für einige Firmen ist eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Strategie in naher Zukunft unvermeidbar. Basierend auf den bestehenden Kernkompetenzen müssen unter Umständen neue Geschäftsfelder entwickelt oder alte rechtzeitig aufgegeben werden. Natürlich kann man die "Gefahr" der EU-Ost-Erweiterung zu einer Chance machen und Teile der eigenen Wertschöpfung aus dem Hochlohn-Land Deutschland in mittel- und osteuropäische Länder verlagern.

Krisennavigator: Absolute Spitzenplätze nehmen auch die Universitäten in Baden-Württemberg ein. Beim "besten Ruf" und bei der "stärksten Praxisorientierung" landet die Universität Mannheim in den Fächern Betriebs- und Volkswirtschaftslehre regelmäßig auf Platz 1. Bei den Wirtschaftsingenieuren und Wirtschaftsinformatikern hat die Technische Universität Karlsruhe die Nase vorn (Quelle: www.capital.de). Auch der Erfindergeist sprudelt in Baden-Württemberg wie in keinem anderen Bundesland. Worin liegen die signifikanten Unterschiede und der besondere Wert dieses "Public Private Partnership" von Unternehmen und Universitäten in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern?

Dr. Gleißner: Sowohl als Absolvent der Universität Karlsruhe als auch durch vielfältige Kontakte und Lehrtätigkeiten an Hochschulen in anderen Bundesländern habe ich den Eindruck, dass sich die Universitäten in Baden-Württemberg frühzeitig um einen besonders engen Schulterschluss mit der Wirtschaft bemüht haben. Ich halte diese Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und betrieblicher Praxis für den besten Weg, um Innovationen zu entwickeln und zu gestalten. Schon seitdem ich mich 1990 als Unternehmensberater in die Selbstständigkeit gewagt habe, war genau diese Idee auch das Leitbild meiner eigenen Entwicklungs- und Beratungstätigkeit. An dieser Schnittstelle lassen sich wirklich innovative Lösungen und Konzepte umsetzen, die sowohl dem "State of the Art" entsprechen, als auch praxiskonform sind und den Unternehmen bei der nachhaltigen Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit helfen.

Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Ansprechpartner

Dr. Werner Gleißner
FutureValue Group AG
Obere Gärten 18
D-70771 Leinfelden-Echterdingen
Telefon: +49 (0)711 79 73 58 - 30
Telefax: +49 (0)711 79 73 58 - 58
Internet: www.futurevalue.de
E-Mail: w.gleissner@futurevalue.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 4 (April)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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Interview mit Dr. Werner Gleißner von Frank Roselieb und Marion Dreher

Überblick

Im Jahr 2003 haben in Baden-Württemberg gerade einmal 8 von 1000 Unternehmen Insolvenz angemeldet. Demgegenüber mussten in Nordrhein-Westfalen mehr als doppelt so viele und in Sachsen-Anhalt sogar gut dreimal so viele Betriebe den Gang zum Insolvenzrichter antreten (Quelle: www.destatis.de). Auch in punkto Unternehmensbonität, Standortqualität und Erfindergeist führt Baden-Württemberg die Rangliste der deutschen Bundesländer unangefochten an (Quellen: www.wiwo.de und www.dpma.de).

Liegt es am badischen Unternehmergeist, an der schwäbischen Sparsamkeit oder an den üppig fließenden staatlichen Fördergeldern, dass baden-württembergische Unternehmer besonders erfolgreich durch die Krise steuern? Führt womöglich die geographische Nähe zum Baseler Komitee für Bankenaufsicht dazu, dass Betriebe im Südwesten Risiken ihrer Geschäftstätigkeit früher antizipieren und professioneller bewältigen als ihre Kollegen in anderen Bundesländern?

Antworten auf diese und andere Fragen zur Unternehmensführung und zum Risikomanagement im Südwesten Deutschlands gibt Dr. Werner Gleißner (Foto). Der promovierte Diplom-Wirtschaftsingenieur ist Geschäftsführer der RMCE RiskCon GmbH & Co. KG in Leinfelden-Echterdingen und seit mehr als einem Jahrzehnt erfolgreicher Unternehmer in Baden-Württemberg. Im Gespräch mit dem Krisennavigator erläutert er u.a. den besonderen Wert der engen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Universitäten im Südwesten sowie das Erfolgsgeheimnis baden-württembergischer Wirtschaftspolitik. Die Fragen stellten Dipl.-Kfm. Frank Roselieb und Dipl.-Psych. Marion Dreher vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung aus Kiel.

"Der traditionelle baden-württembergische Mittelstand misst der
langfristigen Bestandssicherung einen großen Stellenwert zu."

Krisennavigator: Die ohnehin niedrige Insolvenzquote in Baden-Württemberg ist 2003 - entgegen dem Bundestrend - nochmals gesunken und liegt nun bei 7,9 Firmenpleiten auf 1000 Unternehmen. Was machen Unternehmer im Südwesten anders als ihre Kollegen in anderen Bundesländern?

Dr. Gleißner: Interessanter Weise gibt es zu dieser Frage nur vergleichsweise wenige wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Dementsprechend sind auch meine Antworten durch eigene Erfahrungen - gerade aus der Beratungspraxis - geprägt. Ich glaube nicht, dass die niedrigeren Insolvenzraten auf personenbedingte Faktoren - wie höhere Intelligenz, stärkere Kompetenzen oder mehr Engagement - zurückzuführen sind. Die Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens hängt maßgeblich von der Risikotragfähigkeit - insbesondere der Eigenkapitalausstattung - und der Risikobereitschaft eines Unternehmens ab. Aufgrund der schon seit Jahren günstigeren Wirtschaftsentwicklung in Baden-Württemberg dürften viele hier etablierte mittelständische Unternehmen in der Zwischenzeit eine deutlich höhere Risikotragfähigkeit als Unternehmen in anderen Bundesländern aufweisen. Positive Auswirkungen auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit haben vermutlich auch die im baden-württembergischen Mittelstand stark ausgeprägte Neigung, vermeidbare Risiken zu vermeiden, sowie die teilweise deutlich höhere Ertragskraft aufgrund der besseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Krisennavigator: In Sachen "Bonität" liegen die baden-württembergischen Unternehmen ebenfalls auf Platz 1. Bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit werden allerdings auch Faktoren wie die Nachfolgeregelung und die Kreditabsicherung im Auslandsgeschäft berücksichtigt. Inwieweit haben sich die - stark inhabergeführten und exportorientierten - Unternehmen im Südwesten früher als der Bundesdurchschnitt auf Risiken in diesen Bereichen eingestellt?

Dr. Gleißner: Die hohe "Bonität" der baden-württembergischen Unternehmen ist das unmittelbare Spiegelbild der niedrigeren Insolvenzwahrscheinlichkeit in diesem Bundesland. Aufgrund der hohen Gewichtung von Finanzkennzahlen - insbesondere Eigenkapitalquote und Umsatzrendite - bei den Ratings von Kreditinstituten dürfte die günstige Beurteilung baden-württembergischer Firmen im Wesentlichen auf bessere Bilanzdaten zurückzuführen sein. Nachfolgeregelungen und Kreditabsicherungen im Auslandsgeschäft haben hier bestenfalls flankierende Bedeutung. Gleichwohl habe ich den Eindruck, dass der traditionelle baden-württembergische Mittelstand der langfristigen Bestandssicherung einen so großen Stellenwert zumisst, dass die verfügbaren Instrumente des Risikomanagements konsequent eingesetzt werden. Selbst wenn viele mittelständische Unternehmen noch keine formalisierten Risikomanagementsysteme nach dem Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) aufgebaut haben, nutzen sie die Möglichkeiten des Risikomanagements.

"Grundlegende Fehler staatlicher Interventionen wurden
in Baden-Württemberg konsequent vermieden."

Krisennavigator: Trotz aller privatwirtschaftlichen Initiative hält sich die Landesregierung Baden-Württemberg keineswegs aus der Wirtschaft zurück. Im Gegenteil: Während andere Bundesländer ihre Förderprogramme zur Zeit drastisch zurückfahren, werden die entsprechenden Landesinitiativen im Südwesten auch 2004 noch einmal kräftig aufgestockt. Erstaunlicherweise liegen sowohl die Pro-Kopf-Verschuldung als auch die durchschnittlichen Hebesätze der Gewerbesteuer in Baden-Württemberg weit unter dem Bundesdurchschnitt - die Zahl der Patentanmeldungen und das Wachstum des Bruttoinlandprodukts allerdings deutlich darüber. Worin liegt das Erfolgsgeheimnis wirtschaftspolitischer Interventionen im Südwesten?

Dr. Gleißner: Grundsätzlich sollte man Förderprogramme des Staates als Investitionen auffassen, die sich mittelfristig in steigender Wirtschaftsleistung, höheren Steuereinnahmen und letztlich sinkender Pro-Kopf-Verschuldung auswirken können. Auch für Baden-Württemberg lassen sich diese positiven Wirkungen staatlicher Interventionen belegen. Sinnvoll ist eine Wirtschaftsförderung insbesondere dann, wenn durch sie zukunftsträchtige Investitionen, die Entwicklung neuer Technologien oder der Aufbau von Humankapital gefördert werden. Die Verbesserung der Infrastruktur und der Investitionsbedingungen steigert die Attraktivität eines Standorts für Unternehmensgründungen und fördert die Ansiedlung von Unternehmen, die bisher in anderen Regionen tätig waren. Baden-Württemberg hat seine Förderprogramme zu einem hohen Anteil auf diese Schwerpunkte ausgerichtet. Außerdem wurden grundlegende Fehler staatlicher Interventionen - beispielsweise der Versuch, nicht mehr zukunftsfähige Unternehmen oder ganze Wirtschaftszweige künstlich am Leben zu erhalten - vermieden.

Krisennavigator: Die stark mittelständisch geprägte Struktur der baden-württembergischen Wirtschaft sowie die besonders engen Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen bergen allerdings auch spezifische Risiken. Inwieweit können junge Unternehmen diese Besonderheiten und weitere Risiken bereits bei der Existenzgründung berücksichtigen?

Dr. Gleißner: Mittelständische Unternehmen weisen allgemein eine ganz spezifische Risikostruktur auf. Entsprechende Risikoprofile haben wir in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung und Wirtschaftsberatung (IAWW) der TU Dresden analysiert. Neben der Abhängigkeit von Schlüsselpersonen und den Risiken aus konjunkturellen Schwankungen gehören auch Geschäftsbeziehungen mit nur wenigen Kunden - also enge Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen - zu den Top-Risiken. Diese Risiken offenbaren sich nicht nur in dem Fall, dass der Schlüsselkunde verloren geht. Die Abhängigkeit von einem Großkunden führt auch zu einer extrem ungünstigen Verhandlungssituation, die sich negativ auf die Rentabilität auswirken kann. Junge Unternehmen sollten bereits bei der Existenzgründung bestrebt sein, derartige Abhängigkeiten von einzelnen Kunden zu vermeiden. Für den Fall, dass solche Abhängigkeiten dennoch entstehen, empfiehlt es sich, diese wechselseitig zu gestalten. Auch dem Kunden sollte es extrem schwer fallen - beispielsweise durch "spezifische Investitionen" in Entwicklungspartnerschaften - den Lieferanten zu wechseln.

"Die Universitäten in Baden-Württemberg haben sich frühzeitig um
einen besonders engen Schulterschluss mit der Wirtschaft bemüht."

Krisennavigator: Knapp jedes zweite in Baden-Württemberg hergestellte Produkt ist schon heute für den Export bestimmt. Die Exportquote liegt mit 43 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt (Quelle: www.statistik-bw.de). Wie können Unternehmen im Südwesten sicherstellen, dass die bisher von ihnen bedienten und für die wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes äußerst wichtigen Abnehmer in den Auslandsmärkten nicht zukünftig auf Lieferanten aus den (Niedriglohn-) EU-Beitrittsländern ausweichen?

Dr. Gleißner: Sicherlich wird es sich kaum vermeiden lassen, dass bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten, die heute noch in Deutschland stattfinden, zukünftig ins Ausland verlagert werden. Auch durch eine weitere Technologisierung der Fertigung kann man den Preiswettbewerb mit den EU-Beitrittsländern nicht immer gewinnen. In solchen Fällen sollten Unternehmen versuchen, sich durch Zusatzleistungen, besonderen Service oder ihre "starke" Marke klar von den ausländischen Wettbewerbern zu differenzieren. Auch in Baden-Württemberg haben sich noch nicht alle Unternehmen ausreichend auf die EU-Ost-Erweiterung vorbereitet. Für einige Firmen ist eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Strategie in naher Zukunft unvermeidbar. Basierend auf den bestehenden Kernkompetenzen müssen unter Umständen neue Geschäftsfelder entwickelt oder alte rechtzeitig aufgegeben werden. Natürlich kann man die "Gefahr" der EU-Ost-Erweiterung zu einer Chance machen und Teile der eigenen Wertschöpfung aus dem Hochlohn-Land Deutschland in mittel- und osteuropäische Länder verlagern.

Krisennavigator: Absolute Spitzenplätze nehmen auch die Universitäten in Baden-Württemberg ein. Beim "besten Ruf" und bei der "stärksten Praxisorientierung" landet die Universität Mannheim in den Fächern Betriebs- und Volkswirtschaftslehre regelmäßig auf Platz 1. Bei den Wirtschaftsingenieuren und Wirtschaftsinformatikern hat die Technische Universität Karlsruhe die Nase vorn (Quelle: www.capital.de). Auch der Erfindergeist sprudelt in Baden-Württemberg wie in keinem anderen Bundesland. Worin liegen die signifikanten Unterschiede und der besondere Wert dieses "Public Private Partnership" von Unternehmen und Universitäten in Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern?

Dr. Gleißner: Sowohl als Absolvent der Universität Karlsruhe als auch durch vielfältige Kontakte und Lehrtätigkeiten an Hochschulen in anderen Bundesländern habe ich den Eindruck, dass sich die Universitäten in Baden-Württemberg frühzeitig um einen besonders engen Schulterschluss mit der Wirtschaft bemüht haben. Ich halte diese Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und betrieblicher Praxis für den besten Weg, um Innovationen zu entwickeln und zu gestalten. Schon seitdem ich mich 1990 als Unternehmensberater in die Selbstständigkeit gewagt habe, war genau diese Idee auch das Leitbild meiner eigenen Entwicklungs- und Beratungstätigkeit. An dieser Schnittstelle lassen sich wirklich innovative Lösungen und Konzepte umsetzen, die sowohl dem "State of the Art" entsprechen, als auch praxiskonform sind und den Unternehmen bei der nachhaltigen Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit helfen.

Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch.

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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 4 (April)

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Letzte Aktualisierung: Freitag, 19. April 2024

       

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