Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 10 (Oktober) - ISSN 1619-2389
 

Arzneimittelzulassung als Risikofaktor
in der Pharmaindustrie:
Der Fall "Vanlev" von Bristol-Myers Squibb

von Stefan Bauer und Benedikt Brand

Überblick

Seit dem 1. Mai 1998 verpflichtet das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) die Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland zur Einrichtung von Risikomanagementsystemen. Hierdurch sollen bestandsgefährdende Entwicklungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens rechtzeitig erkannt und erfolgreich bewältigt werden. Entsprechende Gesetze existieren mit den "Federal Securities Laws" auch in den USA. Die Grundlage hierfür wurde bereits im Jahre 1933 mit dem sogenannten "Federal Securities Act" geschaffen.

Im Frühjahr 2000 sah sich der US-amerikanische Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb (BMS) mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen diese "Securities Laws" vorstoßen zu haben. Hintergrund war eine Schadensersatzklage verschiedener Aktionäre gegen das Unternehmen. Diese warfen dem Pharmakonzern in der Anklageschrift u.a. vor, eine irreführende Informationspolitik zu den Nebenwirkungen des Medikaments "Vanlev" betrieben zu haben. Obwohl das Medikament im Vorfeld der Markteinführung mit "Vorschußlorbeeren" überhäuft wurde, scheiterte die für Juni 2000 geplante Markteinführung und ließ den Aktienkurs von BMS im April 2000 um 23 Prozent sinken.

Anhand des Falles "Vanlev" von Bristol-Myers Squibb soll gezeigt werden, welche Risiken bei der Wirkstoffentwicklung und Wirkstoffzulassung in der Pharmaindustrie zu beachten sind und inwieweit durch Systeme des Risikomanagements drohende Krisen frühzeitig erkannt und erfolgreich bewältigt werden können.

Exkurs: Das Unternehmen Bristol-Myers Squibb (BMS)

BMS entstand 1989 durch die Fusion der Bristol-Myers und der Squibb Corporation. Beide Fusionspartner können auf eine mehr als hundertjährige Erfahrung in der pharmazeutischen Industrie zurückblicken. Bristol-Myers Squibb ist heute mit 54.000 Mitarbeitern in über 60 Ländern einer der führenden Hersteller von Arzneimittel- und Schönheitspflegeprodukten. Der Jahresumsatz betrug 1999 etwa 20 Milliarden US-Dollar. Davon wurden 71 Prozent im pharmazeutischen Bereich erwirtschaftet. 37 Prozent des Umsatzes wurden außerhalb der USA realisiert.

Die Markteinführung neuer Arzneimittel in den USA

Von der Entdeckung eines neuen Arzneistoffes bis zu seiner Markteinführung vergehen im Durchschnitt 15 Jahre. In dieser Zeit müssen verschiedene Stadien durchlaufen werden:

  • Am Anfang der Forschung steht die Identifikation eines sogenannten "molekularen Targets". Dabei handelt es sich um die Schlüsselfaktoren in einem bestimmten Krankheitsverlauf.
  • Ist ein solches Target identifiziert, so erfolgt das "Screening" von Substanzen. Ziel ist es dabei, solche Substanzen zu finden, die mit dem Target reagieren und ein therapeutisches Potential besitzen - also zur Linderung der jeweiligen Krankheit beitragen.
  • Ein Teil der Substanzen wird zu "vorklinischen Studien" ausgewählt. Hierbei soll im Rahmen von Labor- und Tierversuchen beispielsweise die biologische Aktivität und toxische Wirkung einzelner Stoffe bestimmt werden.
  • Erfüllen die Substanzen bestimmte Anforderungen, so stellt das Unternehmen einen Antrag auf "Investigational New Drug Application" (IND) bei der Food and Drug Administration (FDA) - der obersten US-amerikanischen Gesundheitsbehörde. Auf Basis der eingereichten Ergebnisse aus den vorklinischen Untersuchungen bestimmt die FDA, ob die Substanzen sicher genug sind, um in klinischen Studien getestet zu werden.
  • Wird die Genehmigung erteilt, so soll die klinische Erprobung - in drei Phasen - u.a. Aufschluß über die optimale Dosierung, Effektivität und Nebenwirkungen der Substanzen geben. In den einzelnen Phasen werden die Substanzen an 50 (erste Phase) bis 3000 (dritte Phase) Probanden getest. Dabei müssen bestimmte demographische Anforderungen erfüllt werden.
  • Liegen positive Resultate aus den klinischen Tests vor, so stellt das Unternehmen bei der FDA einen Antrag auf "New Drug Application" (NDA).
  • Die FDA muß nun abschließend - auf Basis der in den klinischen Tests gesammelten Daten und unter Abwägung von Sicherheits- und Effektivitätsaspekten - prüfen, ob die endgültige Zulassung der Substanz erfolgen kann. Je nach medizinischem Stellenwert der Substanz und Einwänden durch die FDA dauert diese Prüfung zwischen sechs und 18 Monaten. Eine Ausnahme bildet das sogenannte "Fast-Track"-Verfahren. Hierbei erfolgt die Prüfung von besonders innovativen Arzneimitteln zur Bekämpfung von lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheiten im einem Zeitraum von sechs Monaten. Zuvor müssen jedoch fundierte klinische Beweise erbracht werden, daß das Arzneimittel entweder eine gesteigerte Effektivität oder ein vermindertes Gesundheitsrisiko besitzt.

Das Medikament "Vanlev" von Bristol-Myers Squibb (BMS)

Anfang 2000 hatte BMS die klinischen Studien für den neuen Wirkstoff "Omapatrilat" (späterer Markenname "Vanlev") erfolgreich abgeschlossen und wartete nur noch auf die Zulassung durch die FDA. BMS wurde sogar ein "Fast-Track"-Verfahren zugesichert, denn die Studiendaten überraschten die medizinische Fachwelt.

Als erster Vertreter einer neuen Substanzklasse - der sogenannten "Vasopeptidase-Inhibitoren" - greift Omapatrilat als blutdrucksenkendes Mittel an zwei Stellen in die Blutdruckregulation ein. Dadurch zeichnet es sich durch eine überlegene Wirkung gegenüber den bisher verwendeten sogenannten "Antihypertensiva" aus. Zudem hat Omapatrilat einen positiven Einfluß auf die Herzfunktion. Angesichts dieser Befunde startete BMS bereits im Frühjahr 2000 eine breit angelegte Marketingkampagne für Vanlev, obwohl die Zulassung des Wirkstoffs durch die FDA noch ausstand.

Anfang April 2000 machte die FDA den Pharmakonzern auf Unstimmigkeiten in Bezug auf sogenannte "Angioödem-Raten" bei Vanlev aufmerksam. Angioödeme sind blutgefäßbedingte Schwellungen, die häufig als Nebenwirkungen von Medikamenten auftreten. Zwar waren die Angioödem-Raten bei Vanlev relativ niedrig und ähnelten den Werten bei bereits etablierten Präparaten. Dennoch störte sich die FDA daran, daß die Tests mit einer - im Verhältnis zu den übrigen Probanden - zu hohen Anzahl von Afro-Amerikanern durchgeführt worden waren.

Eigentlich ist dieser Umstand BMS durchaus zugute zu halten, denn Afro-Amerikaner weisen in der Regel schwerwiegendere und kompliziertere Blutdrucksymptome sowie höhere Angioödem-Raten auf als die übrige Bevölkerung und sprechen zudem schlechter auf die bisherigen Präparate an. Dennoch war die FDA der Ansicht, daß durch diese demographische Verzerrung im Untersuchungsdesign die Metabolisierung - also die Umsetzung der Substanz im Stoffwechsel - sowie die Wirkung des Arzneimittels bei der übrigen Bevölkerung nicht hinreichend gesichert sei. In Folge dieses Formfehlers zog BMS den Zulassungsantrag freiwillig zurück, um ihn im darauffolgenden Jahr neu einzureichen.

Exkurs: Forschung und Entwicklung als
Risikofaktor in der Pharmaindustrie

Mit einem neu entwickelten und zugelassenen Wirkstoff kann ein Pharmaunternehmen einerseits hohe Gewinne erzielen. Andererseits muß das Unternehmen bis zur Zulassung einer Substanz kostenintensive Forschung und Entwicklung betreiben. Der Aufwand für Forschung und Entwicklung stellt daher in der Gewinn- und Verlustrechnung von Pharmaunternehmen einen nicht unwesentlichen Anteil dar. Beispielsweise veranschlagte BMS im Jahre 1999 rund 1,9 Milliarden US-Dollar für Forschung und Entwicklung. Dieses entspricht einem Anteil von etwa 9 Prozent des Umsatzes.

Die Möglichkeit, daß ein Wirkstoff scheitert und damit die Forschung und Entwicklung vergebens war, sollte deshalb von Pharmaunternehmen stets in Betracht gezogen werden. Diese bilden daher im Regelfall Kapitalrücklagen oder Liquiditätsreserven, um den negativen Auswirkungen einer Zulassungsverweigerung entgegenzuwirken. Derartige Mittel können beispielsweise eingesetzt werden, um in einem solchen Fall durch einen Aktienrückkauf den Kurs zu stabilisieren und damit eine Übernahmegefahr abzuwenden.

Risikoanalyse für das Medikament "Vanlev"

Wie bereits erläutert mußte BMS den Zulassungsantrag für das Medikament "Vanlev" Ende April 2000 aufgrund der Einwände der FDA am Testdesign der klinischen Studie zurückziehen. Die Folge war ein Einbruch des Aktienkurses um 23 Prozent. Hierdurch büßte BMS 37 Milliarden US-Dollar an Marktwert ein und wurde fortan als Übernahmekandidat in der Pharmabranche gehandelt. Mehrere Unternehmensberater rieten zu einer Fusion oder zum Verkauf von Geschäftsbereichen. BMS selbst kündigte intensive Kosteneinsparungen an.

Es stellt sich daher die Frage, ob BMS das Risiko eines abgewiesenen Zulassungsantrags seitens der FDA möglicherweise unterschätzt hat. Nach Informationen des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - der in Deutschland für die Arzneimittelzulassung zuständigen Behörde - wurden 1999 in der Bundesrepublik Deutschland 3.476 Zulassungsanträge für neue Medikamente gestellt. Lediglich für 245 Arzneimittel (7 Prozent) mußte die Zulassung verweigert werden, was größtenteils auf formelle Fehler zurückzuführen war. Nur in Ausnahmefällen wurde einem Zulassungsantrag aus klinischen Gründen nicht stattgegeben. Daneben wurden im gleichen Jahr 281 Zulassungsanträge von Antragstellern freiwillig zurückgezogen. Nach Auskunft des BfArM sind diese Relationen durchaus auf die USA übertragbar.

Der eigentliche Zulassungsantrag scheint somit eine reine Formsache zu sein und stellt für Pharmaunternehmen nur ein sehr geringes Risiko dar. Entscheidender ist es, daß die Forschung und Entwicklung des Pharmakonzerns entsprechend der Vorschriften der zuständigen Behörden arbeitet und hierdurch der Gefahr einer Abweisung eines Zulassungsantrages entgegengewirkt wird. Im Fall des Medikaments "Vanlev" bemängelte die FDA die Zusammensetzung der Probanden im Rahmen der klinischen Tests. Diese Tests fallen gewöhnlich in den Verantwortungsbereich der Forschung und Entwicklung und können im Regelfall problemlos nachgereicht werden.

Verschärft wurde die Situation allerdings durch die sehr früh gestartete Marketingkampagne und die damit erzeugte hohe Erwartungshaltung der Analysten und Aktionäre an das neue Produkt. Diese reagierten auf die verschobene Markteinführung mit massiven Aktienverkäufen. Hierdurch kam es zu den bekannten negativen Auswirkungen auf den Aktienkurs und auf den Marktwert des Unternehmens. Möglicherweise hätte durch zeitnahe "Investor Relations" - also Kommunikation des Unternehmens mit der "Financial Community" - dem temporären Vertrauensverlust in die Forschungs- und Entwicklungsleistungen von BMS entgegengewirkt werden können.

Autoren

Stefan Bauer
- Lebensmittelchemiker -
Institut für Lebensmittelchemie
Westfälische Wilhelms-Universität
Corrensstraße 45
D-48149 Münster
Telefon: +49 (0)251 83 - 33 842
Telefax: +49 (0)251 83 - 33 396
Internet: www.uni-muenster.de/Chemie/LC
E-Mail: bauerste@uni-muenster.de

Benedikt Brand
- Lebensmittelchemiker -
Institut für Lebensmittelchemie
Westfälische Wilhelms-Universität
Corrensstraße 45
D-48149 Münster
Telefon: +49 (0)251 83 - 33 841
Telefax: +49 (0)251 83 - 33 396
Internet: www.uni-muenster.de/Chemie/LC
E-Mail: brandb@uni-muenster.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
3. Jahrgang (2000), Ausgabe 12 (Dezember)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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Arzneimittelzulassung als Risikofaktor
in der Pharmaindustrie:
Der Fall "Vanlev" von Bristol-Myers Squibb

von Stefan Bauer und Benedikt Brand

Überblick

Seit dem 1. Mai 1998 verpflichtet das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) die Vorstände börsennotierter Aktiengesellschaften in Deutschland zur Einrichtung von Risikomanagementsystemen. Hierdurch sollen bestandsgefährdende Entwicklungen innerhalb und außerhalb des Unternehmens rechtzeitig erkannt und erfolgreich bewältigt werden. Entsprechende Gesetze existieren mit den "Federal Securities Laws" auch in den USA. Die Grundlage hierfür wurde bereits im Jahre 1933 mit dem sogenannten "Federal Securities Act" geschaffen.

Im Frühjahr 2000 sah sich der US-amerikanische Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb (BMS) mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen diese "Securities Laws" vorstoßen zu haben. Hintergrund war eine Schadensersatzklage verschiedener Aktionäre gegen das Unternehmen. Diese warfen dem Pharmakonzern in der Anklageschrift u.a. vor, eine irreführende Informationspolitik zu den Nebenwirkungen des Medikaments "Vanlev" betrieben zu haben. Obwohl das Medikament im Vorfeld der Markteinführung mit "Vorschußlorbeeren" überhäuft wurde, scheiterte die für Juni 2000 geplante Markteinführung und ließ den Aktienkurs von BMS im April 2000 um 23 Prozent sinken.

Anhand des Falles "Vanlev" von Bristol-Myers Squibb soll gezeigt werden, welche Risiken bei der Wirkstoffentwicklung und Wirkstoffzulassung in der Pharmaindustrie zu beachten sind und inwieweit durch Systeme des Risikomanagements drohende Krisen frühzeitig erkannt und erfolgreich bewältigt werden können.

Exkurs: Das Unternehmen Bristol-Myers Squibb (BMS)

BMS entstand 1989 durch die Fusion der Bristol-Myers und der Squibb Corporation. Beide Fusionspartner können auf eine mehr als hundertjährige Erfahrung in der pharmazeutischen Industrie zurückblicken. Bristol-Myers Squibb ist heute mit 54.000 Mitarbeitern in über 60 Ländern einer der führenden Hersteller von Arzneimittel- und Schönheitspflegeprodukten. Der Jahresumsatz betrug 1999 etwa 20 Milliarden US-Dollar. Davon wurden 71 Prozent im pharmazeutischen Bereich erwirtschaftet. 37 Prozent des Umsatzes wurden außerhalb der USA realisiert.

Die Markteinführung neuer Arzneimittel in den USA

Von der Entdeckung eines neuen Arzneistoffes bis zu seiner Markteinführung vergehen im Durchschnitt 15 Jahre. In dieser Zeit müssen verschiedene Stadien durchlaufen werden:

Das Medikament "Vanlev" von Bristol-Myers Squibb (BMS)

Anfang 2000 hatte BMS die klinischen Studien für den neuen Wirkstoff "Omapatrilat" (späterer Markenname "Vanlev") erfolgreich abgeschlossen und wartete nur noch auf die Zulassung durch die FDA. BMS wurde sogar ein "Fast-Track"-Verfahren zugesichert, denn die Studiendaten überraschten die medizinische Fachwelt.

Als erster Vertreter einer neuen Substanzklasse - der sogenannten "Vasopeptidase-Inhibitoren" - greift Omapatrilat als blutdrucksenkendes Mittel an zwei Stellen in die Blutdruckregulation ein. Dadurch zeichnet es sich durch eine überlegene Wirkung gegenüber den bisher verwendeten sogenannten "Antihypertensiva" aus. Zudem hat Omapatrilat einen positiven Einfluß auf die Herzfunktion. Angesichts dieser Befunde startete BMS bereits im Frühjahr 2000 eine breit angelegte Marketingkampagne für Vanlev, obwohl die Zulassung des Wirkstoffs durch die FDA noch ausstand.

Anfang April 2000 machte die FDA den Pharmakonzern auf Unstimmigkeiten in Bezug auf sogenannte "Angioödem-Raten" bei Vanlev aufmerksam. Angioödeme sind blutgefäßbedingte Schwellungen, die häufig als Nebenwirkungen von Medikamenten auftreten. Zwar waren die Angioödem-Raten bei Vanlev relativ niedrig und ähnelten den Werten bei bereits etablierten Präparaten. Dennoch störte sich die FDA daran, daß die Tests mit einer - im Verhältnis zu den übrigen Probanden - zu hohen Anzahl von Afro-Amerikanern durchgeführt worden waren.

Eigentlich ist dieser Umstand BMS durchaus zugute zu halten, denn Afro-Amerikaner weisen in der Regel schwerwiegendere und kompliziertere Blutdrucksymptome sowie höhere Angioödem-Raten auf als die übrige Bevölkerung und sprechen zudem schlechter auf die bisherigen Präparate an. Dennoch war die FDA der Ansicht, daß durch diese demographische Verzerrung im Untersuchungsdesign die Metabolisierung - also die Umsetzung der Substanz im Stoffwechsel - sowie die Wirkung des Arzneimittels bei der übrigen Bevölkerung nicht hinreichend gesichert sei. In Folge dieses Formfehlers zog BMS den Zulassungsantrag freiwillig zurück, um ihn im darauffolgenden Jahr neu einzureichen.

Exkurs: Forschung und Entwicklung als
Risikofaktor in der Pharmaindustrie

Mit einem neu entwickelten und zugelassenen Wirkstoff kann ein Pharmaunternehmen einerseits hohe Gewinne erzielen. Andererseits muß das Unternehmen bis zur Zulassung einer Substanz kostenintensive Forschung und Entwicklung betreiben. Der Aufwand für Forschung und Entwicklung stellt daher in der Gewinn- und Verlustrechnung von Pharmaunternehmen einen nicht unwesentlichen Anteil dar. Beispielsweise veranschlagte BMS im Jahre 1999 rund 1,9 Milliarden US-Dollar für Forschung und Entwicklung. Dieses entspricht einem Anteil von etwa 9 Prozent des Umsatzes.

Die Möglichkeit, daß ein Wirkstoff scheitert und damit die Forschung und Entwicklung vergebens war, sollte deshalb von Pharmaunternehmen stets in Betracht gezogen werden. Diese bilden daher im Regelfall Kapitalrücklagen oder Liquiditätsreserven, um den negativen Auswirkungen einer Zulassungsverweigerung entgegenzuwirken. Derartige Mittel können beispielsweise eingesetzt werden, um in einem solchen Fall durch einen Aktienrückkauf den Kurs zu stabilisieren und damit eine Übernahmegefahr abzuwenden.

Risikoanalyse für das Medikament "Vanlev"

Wie bereits erläutert mußte BMS den Zulassungsantrag für das Medikament "Vanlev" Ende April 2000 aufgrund der Einwände der FDA am Testdesign der klinischen Studie zurückziehen. Die Folge war ein Einbruch des Aktienkurses um 23 Prozent. Hierdurch büßte BMS 37 Milliarden US-Dollar an Marktwert ein und wurde fortan als Übernahmekandidat in der Pharmabranche gehandelt. Mehrere Unternehmensberater rieten zu einer Fusion oder zum Verkauf von Geschäftsbereichen. BMS selbst kündigte intensive Kosteneinsparungen an.

Es stellt sich daher die Frage, ob BMS das Risiko eines abgewiesenen Zulassungsantrags seitens der FDA möglicherweise unterschätzt hat. Nach Informationen des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - der in Deutschland für die Arzneimittelzulassung zuständigen Behörde - wurden 1999 in der Bundesrepublik Deutschland 3.476 Zulassungsanträge für neue Medikamente gestellt. Lediglich für 245 Arzneimittel (7 Prozent) mußte die Zulassung verweigert werden, was größtenteils auf formelle Fehler zurückzuführen war. Nur in Ausnahmefällen wurde einem Zulassungsantrag aus klinischen Gründen nicht stattgegeben. Daneben wurden im gleichen Jahr 281 Zulassungsanträge von Antragstellern freiwillig zurückgezogen. Nach Auskunft des BfArM sind diese Relationen durchaus auf die USA übertragbar.

Der eigentliche Zulassungsantrag scheint somit eine reine Formsache zu sein und stellt für Pharmaunternehmen nur ein sehr geringes Risiko dar. Entscheidender ist es, daß die Forschung und Entwicklung des Pharmakonzerns entsprechend der Vorschriften der zuständigen Behörden arbeitet und hierdurch der Gefahr einer Abweisung eines Zulassungsantrages entgegengewirkt wird. Im Fall des Medikaments "Vanlev" bemängelte die FDA die Zusammensetzung der Probanden im Rahmen der klinischen Tests. Diese Tests fallen gewöhnlich in den Verantwortungsbereich der Forschung und Entwicklung und können im Regelfall problemlos nachgereicht werden.

Verschärft wurde die Situation allerdings durch die sehr früh gestartete Marketingkampagne und die damit erzeugte hohe Erwartungshaltung der Analysten und Aktionäre an das neue Produkt. Diese reagierten auf die verschobene Markteinführung mit massiven Aktienverkäufen. Hierdurch kam es zu den bekannten negativen Auswirkungen auf den Aktienkurs und auf den Marktwert des Unternehmens. Möglicherweise hätte durch zeitnahe "Investor Relations" - also Kommunikation des Unternehmens mit der "Financial Community" - dem temporären Vertrauensverlust in die Forschungs- und Entwicklungsleistungen von BMS entgegengewirkt werden können.

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Corrensstraße 45
D-48149 Münster
Telefon: +49 (0)251 83 - 33 842
Telefax: +49 (0)251 83 - 33 396
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E-Mail: bauerste@uni-muenster.de

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Letzte Aktualisierung: Sonntag, 6. Oktober 2024

       

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